05. Februar 2013
StichworteArbeitsrecht Tarifrecht Rechtsprechung BAG Bundesarbeitsgericht

BAG: Mindestlänge tariflicher Ausschlussfristen bei Urlaubsabgeltung (Urteil vom 18.09.2012 - 9 AZR 1/11)
1. Wird in einem Formulararbeitsvertrag eines Arbeitgebers der einschlägige Tarifvertrag insgesamt in Bezug genommen, findet auch dann keine Angemessenheitskontrolle der Tarifbestimmungen nach § 307 Abs. 1 BGB statt, wenn der in Bezug genommene Tarifvertrag von einer Tarifpartei gekündigt und noch kein neuer Tarifvertrag abgeschlossen worden ist.
2. Eine tarifliche Ausschlussfrist von sechs Wochen, deren Lauf gehemmt ist, so lange ein Arbeitnehmer durch außerordentliche Störung seines körperlichen oder geistigen Zustands nicht in der Lage ist, Ansprüche geltend zu machen, ist in Bezug auf den Anspruch auf Urlaubsabgeltung wirksam.
3. Eine Geltendmachung von Urlaubsabgeltungsansprüchen zu einem Zeitpunkt, in dem die Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch nicht sicher ist, kann nach dem zugrundeliegenden MTV grundsätzlich die tarifliche Ausschlussfrist nicht wahren, da diese grundsätzlich den Bestand des Anspruchs voraussetzt.
(Auszug aus den Orientierungssätzen des BAG.)
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat entschieden, dass eine tarifvertragliche Ausschlussfrist von sechs Wochen auch im Hinblick auf Urlaubsabgeltungsansprüche wirksam ist, die berücksichtigt, dass ein Arbeitnehmer aufgrund körperlicher Gebrechen u. U. einen Anspruch nicht geltend machen kann.

I. Sachverhalt
Die Parteien streiten über die Abgeltung von jeweils 30 Urlaubstagen aus den Jahren 2007 und 2008 sowie 20 Urlaubstagen aus dem Jahr 2009. Die Klägerin war bis zum 31. Juli 2009 bei der Beklagten beschäftigt. Der arbeitgeberseitig vorformulierte Formulararbeitsvertrag verweist auf den MTV des Bäckereihandwerks Baden-Württemberg in der jeweils gültigen Fassung. § 21 MTV legt eine einstufige Ausschlussfrist von sechs Wochen nach Entstehen des Anspruchs fest. Der Lauf der Ausschlussfrist wird bis zu dem Tage gehemmt, bis zu dem der Arbeitnehmer aufgrund außerordentlicher Störungen seines körperlichen oder geistigen Zustands nicht in der Lage ist, die Ansprüche geltend zu machen. Ab Herbst 2007 bis zu ihrem Ausscheiden war die Klägerin durchgängig arbeitsunfähig krank. Mit Schreiben vom 19. Februar 2009 forderte sie die Beklagte ohne Erfolg auf, die Urlaubsabgeltung für die Kalenderjahre 2007 und 2008 abzurechnen und auszubezahlen. Das BAG hat die Klage endgültig abgewiesen.

II. Entscheidungsgründe
§ 21 MTV finde auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung. Die Länge der Verfallsfrist unterfalle nicht der Angemessenheitskontrolle gem. § 307 Abs. 1 BGB. Nach dem Wortlaut des § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB fänden die §§ 305 bis 310 BGB auf Tarifverträge keine Anwendung. § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB enthalte seinem Wortlaut nach keine Einschränkung dahingehend, dass dies nur für Tarifverträge gelten solle, die Kraft Tarifbindung unmittelbar und zwingend gelten. Die Vermutung der Angemessenheit ende nicht mit der Kündigung des Tarifvertrages durch eine der Tarifvertragsparteien. Das folge schon daraus, dass das Gesetz bei tarifgebundenen Arbeitsvertragsparteien gem. § 4 Satz 5 TVG die Nachwirkungen des gekündigten Tarifvertrags anordne. Ob etwas anderes gelte, wenn die Tarifvertragsparteien die Nachwirkungen des Tarifvertrags ausgeschlossen hätten, bedürfe keiner Entscheidung.
Die Ausschlussfrist stehe im Einklang mit den Vorgaben der Richtlinie 2003/88/EG (Arbeitszeitrichtlinie). Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie gebiete es nicht, dass eine Ausschlussfrist für den Urlaubsabgeltungsanspruch die Dauer des Bezugszeitraums des Urlaubsanspruchs deutlich übersteige. Die Ausschlussfrist schränke die Effektivität der Durchsetzung des europarechtlichen gewährleisteten Anspruchs auf Urlaubsabgeltung nicht unzulässig ein. Es spreche eine Vermutung dafür, dass die 6-wöchige Verfallsfrist angemessen sei.
Die Klägerin habe den Abgeltungsanspruch nicht rechtzeitig geltend gemacht. Die Bitte, das Arbeitsverhältnis ordnungsgemäß abzurechnen, genüge den Anforderungen der Ausschlussfrist nicht. Das Arbeitsverhältnis endete erst aufgrund der Eigenkündigung der Klägerin mit Ablauf des 31. Juli 2009. Vor dem Entstehen des Abgeltungsanspruchs konnte die Klägerin diesen nicht geltend machen. Soweit die Geltendmachung auf einen ungewissen künftigen Beendigungszeitpunkt bezogen sei, geschehe dies lediglich "ins Blaue hinein". Dies würde dem Sinn und Zweck der Ausschlussfrist widersprechen, eine schnelle Klärung von Ansprüchen herbeizuführen.

III. Bewertung/Folgen der Entscheidung
Mit dem vorliegenden Urteil setzt das BAG seine Rechtsprechung zur Anwendbarkeit von Ausschlussfristen auf Urlaubsabgeltungsansprüche fort. Mit Urteil vom 13. Dezember 2011 (9 AZR 399/10, NZA 2012,514) hatte das BAG bereits klargestellt, dass Ausschlussfristen auch auf Urlaubsabgeltungsansprüche Anwendung finden und dem das Europarecht nicht entgegenstehen. Es hatte in diesem Zusammenhang klargestellt, dass die Rechtsprechung des EuGH zur Länge des Übertragungszeitraums für den gesetzlichen Mindesturlaub nicht auf den Urlaubsabgeltungsanspruch übertragbar ist.

BAG: Kündigungsschutz: Zeitarbeiter können bei Betriebsgröße mitzählen (Urteil vom 24.01.2013 - 2 AZR 140/12)
Bei der Berechnung der Betriebsgröße nach dem Kündigungsschutzgesetz sind nach einer aktuellen Entscheidung des BAG auch im Betrieb beschäftigte Leiharbeitnehmer zu berücksichtigen, wenn ihr Einsatz auf einem „in der Regel“ vorhandenen Personalbedarf beruht. Dies gebietet eine an Sinn und Zweck orientierte Auslegung der gesetzlichen Bestimmung.
Der Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern stehe nicht schon entgegen, dass sie kein Arbeitsverhältnis zum Betriebsinhaber begründet haben. Die Herausnahme der Kleinbetriebe aus dem Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes solle der dort häufig engen persönlichen Zusammenarbeit, ihrer zumeist geringen Finanzausstattung und dem Umstand Rechnung tragen, dass der Verwaltungsaufwand, den ein Kündigungsschutzprozess mit sich bringt, die Inhaber kleinerer Betriebe typischerweise stärker belastet. Dies rechtfertige keine Unterscheidung danach, ob die den Betrieb kennzeichnende regelmäßige Personalstärke auf dem Einsatz eigener oder dem entliehener Arbeitnehmer beruht.

BAG: Stellenanzeige für „Berufsanfänger“/„Young Professionell“ kann diskriminierend sein (Urteil vom 24.01.2013 - 8 AZR 429/11)
Eine an „Berufsanfänger“ gerichtete Stellenanzeige für ein Traineeprogramm „Hochschulabsolventen/Young Professionells“ kann ein Indiz für eine Benachteiligung des abgelehnten, älteren Bewerbers wegen dessen Alters begründen. Der Arbeitgeber trägt dann die Beweislast dafür, dass ein solcher Verstoß nicht vorgelegen hat. Jedenfalls ein öffentlicher Arbeitgeber darf sich darauf berufen, dass der Bewerber aufgrund seiner im Vergleich zu den Mitbewerbern schlechteren Examensnoten nicht in die eigentliche Bewerberauswahl einbezogen worden ist, da er gemäß Art. 33 Abs. 2 GG Stellen nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung der Bewerber zu besetzen hat.

BAG: Annahmeverzug bei Streikteilnahme nach Kündigung (Urteil vom 17.07.2012 - 1 AZR 563/11)
Beteiligt sich ein außerordentlich gekündigter Arbeitnehmer an einem Streik, steht ihm für diese Zeit auch dann kein Annahmeverzugslohn zu, wenn in einem nachfolgenden Kündigungsschutzprozess die Unwirksamkeit der Kündigung festgestellt wird. Wer streikt, ist nicht leistungswillig i.S.d. § 297 BGB.

BAG: Sonderkündigungsschutz eines Ersatzmitglieds des Betriebsrats (Urteil vom 19.04.2012 - 2 AZR 233/11)
Der nachwirkende Kündigungsschutz für ein Ersatzmitglied des Betriebsrats tritt nur ein, wenn es in der Vertretungszeit Betriebsratsaufgaben tatsächlich wahrgenommen hat. Bloß fiktive, in Wirklichkeit unterbliebene Aktivitäten des Ersatzmitglieds, das etwa zu einer Betriebsratssitzung - und sei es bewusst - nicht geladen worden ist, lösen den nachwirkenden Kündigungsschutz grundsätzlich nicht aus.

LAG Baden-Württemberg: Verfahrensaussetzung wegen Prüfung der Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit der DGB-Gewerkschaften in der Zeitarbeit (Beschluss vom 20.03.2012, 22 Sa 71/11; n. rkr.)
Das LAG Baden-Württemberg hatte bereits im März 2012 das Verfahren wegen der Equal Pay-Klage eines Arbeitnehmers gemäß § 97 Abs. 1 und Abs. 5 ArbGG ausgesetzt, da es der Meinung war, aufgrund des Vorbringens des Klägers sei streitentscheidend, ob in der Zeit von Dezember 2006 bis August 2009 die der DGB-Tarifgemeinschaft Zeitarbeit angehörenden Einzelgewerkschaften tariffähig oder tarifzuständig für die Zeitarbeit waren.
Auf die zugelassene Rechtsbeschwerde hat das BAG in einer bisher nicht veröffentlichten Entscheidung (1 AZB 72/12 vom 19.12.2012) den Beschluss des LAG aufgehoben und die Sache an das Gericht zurück verwiesen.
Zur Begründung soll sich das BAG zum einen auf Begründungsmängel in dem Beschluss berufen: Das LAG habe nicht dargelegt, dass der geltend gemachte Anspruch allein von der Geltung bestimmter Tarifverträge abhänge und welche Tarifverträge es konkret als entscheidungserheblich ansehe.
Zum anderen soll das BAG gerügt haben, dass das LAG seine Aussetzungsentscheidung allein darauf gestützt hat, dass der Kläger die Wirksamkeit der "maßgeblichen Entgeltverträge" bestritten hat. Dies sei vorliegend nicht ausreichend, da nicht ersichtlich sei, dass an der Tariffähigkeit der Mitgliedgewerkschaften der "DGB-Tarifgemeinschaft" vernünftige Zweifel bestünden.
Sobald uns die Entscheidungsgründe des BAG zugehen, werden wir Sie Ihnen zukommen lassen.

Berlin-Brandenburg: Entleiher werden bei nicht nur vorübergehender Arbeitnehmerüberlassung zu Arbeitgebern (Urteil vom 9.1.2013, 15 Sa 1635/12, n. rkr.)
Sachverhalt:
Der beklagte Entleiher betreibt Krankenhäuser und setzt als Krankenpflegepersonal bei einem konzerneigenen Verleihunternehmen beschäftigtes Personal ein. Die Beschäftigung erfolgt auf Dauerarbeitsplätzen, für die keine eigenen Stammarbeitnehmer vorhanden sind. Das Verleihunternehmen besitzt eine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung.

Gründe:
Nach der bisher vorliegenden Pressemitteilung sieht das LAG in dem dauerhaften Einsatz auf Stammarbeitsplätzen einen institutionellen Rechtsmissbrauch, der die Vermutung begründe, dass zwischen dem Entleiher und der Arbeitnehmerin ein Arbeitsverhältnis zustandegekommen sei. Eine auf Dauer angelegte Überlassung von Arbeitskräften sei auch von einer unbefristeten Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung nicht gedeckt.
Bewertung/Folgen der Entscheidung:
Die beiden Entscheidungen reihen sich in eine in der Rechtsprechung im Kontext von § 99 BetrVG zunehmende Diskussion über die Bedeutung der Novellierung des AÜG im vergangenen Jahr ein. Insbesondere geht es dabei um den Begriff "vorübergehend" in § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG.
Nach richtiger und mehrheitlich vertretener Auffassung handelt es sich dabei um eine klarstellende Beschreibung der Arbeitnehmerüberlassung nach deutschem Recht. Mit der Aufhebung von § 13 AÜG alter Fassung zum 1. April 1997 und der Vermittlungsfiktion nach § 1 Abs. 2 AÜG alter Fassung bietet das Gesetz selbst keine Rechtsgrundlage für die Annahme, zwischen Entleiher und Arbeitnehmer könne ein Arbeitsverhältnis zustande kommen, soweit der Verleiher nur über eine wirksame Verleiherlaubnis verfügt.
Ebenso wie im Zusammenhang mit der Beschäftigungs- und Vergütungspflicht des Einsatzbetriebes wird die Frage der Rechtsfolgen einer Überlassung auf Dauerarbeitsplätzen für unbegrenzte Zeit auch im Rahmen der Zustimmungsverweigerung bei Einstellungen nach §§ 99 BetrVG, 14 AÜG diskutiert. Die Landesarbeitsgerichte in Berlin/Brandenburg und Niedersachsen haben dieses Zustimmungsverweigerungsrecht bejaht, das Arbeitsgericht Leipzig zu Recht verneint.
Die BDA vertritt die Auffassung, dass das Einfügen des Begriffs "vorübergehend" keine Änderung der Rechtslage nach deutschem Recht mit sich gebracht hat. § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG hat allein klarstellenden Charakter. Die vom Gesetzgeber gewollte allein klarstellende Ergänzung des Gesetzes genügt nicht, die erheblichen Rechtsfolgen einer quasi Vertragsbeziehung zwischen einem Entleiher und einer Zeitarbeitskraft zu begründen. Das gilt entsprechend für Mitwirkungsrechte des Betriebsrats bei der Einstellung von Zeitarbeitskräften.
Auch die Zeitarbeitsrichtlinie gibt keine entsprechende Sanktionsfolge her. Im Gegenteil, zumindest bei unbefristeten Arbeitsverträgen zwischen Verleiher und Zeitarbeitskraft ist diese Rechtsbeziehung sogar noch privilegiert (vgl. Art. 5).
Da beide Kammern die Revision zugelassen haben, ist mit einer Klärung der Streitfrage durch das BAG zu rechnen.